Hannah’s Herzfehler::: 2 glückliche Fotos und die immer präsente Angst

Heute vor 4 Jahren lüftete ich das Geheimnis meiner vierten Schwangerschaft. Ein Foto, datiert auf den 21. August 2013 erinnerte mich am Morgen daran. Und mit ihm kamen unzählige Erinnerungen und Gefühle zurück, als wären sie niemals weggewesen. Das Foto trug den Namen Verliebt <3. Und wie verliebt ich damals war! Glücklich und doch gleichzeitig so unwissend, dass mein ungeborenes Kind einen schweren Herzfehler hat.

Hannah im 5. Monat mit zarten 170g. Damals schwebte ich noch auf Wolken vor Glück.

 

Der 21.08.2013 war ein Mittwoch und ich war im 5. Monat schwanger. Ich hatte einen Termin zum Ultraschall und war aufgeregt, endlich wieder mein kleines Wunderbaby, das es statistisch gar nicht geben sollte, zu sehen. Und ich sah es – SIE! Der Arzt war sich schon relativ sicher und ich überrascht, da ich bei dieser Schwangerschaft, die komplett anders war als Emma’s, ziemlich fest davon ausging, dass ich diesmal einen kleinen Jungen bekomme.
Aber zu meiner Überraschung trug ich wieder ein kleines Mädchen in mir. Dass ich überhaupt schwanger war, grenzte an ein statistisches Wunder und ich höre meinen Mann noch heute auf die vielen Fragen nach dem Geschlecht antworten: “Egal, Hauptsache gesund!”

Ich fuhr an jenem Mittwoch von der Praxis zurück zur Arbeit. Aber konzentrieren konnte ich mich nicht mehr. Ich schrieb einer Freundin noch aus dem Auto, dass ich wieder ein Mädchen bekomme. Ich war völlig aus dem Häuschen. Glücklich, verliebt und gedanklich schon 1, 3, 5, 10, 18 Jahre weiter. Wie schwangere Frauen eben sind. Ich sah meine beiden blonden Töchter in Gedanken vor mir. Als Kinder, als Jugendliche, als erwachsene junge Frauen. Dieser Mittwoch Ende August war der letzte Arzttermin, den ich unbeschwert und glücklich wahrnahm. Einen Monat später wurde bei der Feindiagnostik Hannah’s schwerer Herzfehler festgestellt und ich wusste plötzlich nicht mehr, ob ich diese Schwangerschaft abbrechen oder mein Baby überhaupt jemals lebend im Arm halten werde.

Die Monate danach musste ich stark sein. Nach der Diagnose habe ich mich 2 Tage im Schlafzimmer verbarrikadiert. Ich wollte niemanden sehen und sprechen. Die Tage danach war ich wie im Trance. Und irgendwann beschloss ich weiterzumachen. Denn irgendwie konnte doch niemand nachempfinden, was in mir vorging. Wenn ich heute an die Zeit denke, dann habe ich funktioniert. Ich war tapfer. Das Leben musste ja schließlich weitergehen. Emma brauchte mich. Wenn mich jemand fragte, wie es mir ging, lächelte ich und gab optimistische Antworten. Die Angst, die vielen Gedanken, die Sorgen habe ich nicht geteilt. Ich konnte sie nicht teilen. Ich ließ mir ein Beschäftigungsverbot erteilen. Mein Kopf war ein reines Gedankenkarussel und ich fuhr mit, ohne dass ich ein Ticket gekauft hatte. Irgendwann fing ich mit dem Bloggen an und es half mir zumindest ein bisschen, meinen Gedanken einen Raum zu geben. Rückblickend finde ich das fast bewundernswert, dass ich durch diese Zeit gekommen bin. Trotz aller Ängste und Sorgen, trotz der vielen bösen Kommentare, andere würden an meiner Stelle das Kind wegmachen lassen oder der vielen respektlosen Fragen, ob ich mir das gut überlegt habe. Ich habe mich verdammt einsam gefühlt in der Zeit und es hat mich unendlich viel Kraft gekostet, trotz allem normal weiterzumachen. Aber da war eben noch ein kleiner Mensch, der mich brauchte. Am Ende ging es gar nicht um mich oder wie es mir ging. Es zählte damals einzig und allein zu kämpfen.

Hannah 4 Jahre später: Fröhlich, wild und wunderbar!

 

Heute Morgen, genau 4 Jahre später, saß ich mit Hannah am Frühstückstisch. Wir haben uns unterhalten, gelacht und ich sah in ihre riesigen Kulleraugen, die mich frech anfunkelten, als ich ihr eine ihrer 738 Fragen beantwortete. Sie, dieses schwerkranke Kind, das nur ein halbes Herz hat, lässt nicht im Ansatz vermuten, was für eine Zeit hinter uns liegt. Es geht ihr hervorragend. Die letzte Kontrolle beim Kardiologen war sogar so positiv, dass in mir schon wieder Zweifel hochkamen. Ihre rechte Herzhälfte wird seit der OP vor knapp 3 Jahren gar nicht mehr genutzt und wird damit mit der Zeit verkümmern. Durch ein Loch zwischen der rechten und linken Herzhälfte und eine undichte, also nicht vollständig schließende Herzklappe, “schwappt” aber immer wieder Blut zurück in die rechte Kammer, wodurch diese über die Jahre entgegen der Prognose mitgewachsen ist. Glück im Unglück. Ich sah es beim letzten Termin schon auf dem Ultraschall, noch bevor der Kardiologe sich dazu äußern konnte. Die beiden Herzhälften wirkten auf den ersten Blick fast gleich groß. Und wieder stand die Frage im Raum, ob man die damalige OP rückgängig macht und ihr Herz “zurückbaut”, damit sie ein normales Leben führen könne. Geht das allerdings schief, gäbe es noch während der OP kein zurück mehr. Das ist ein Gedanke, den mein Gehirn zum Selbstschutz gar nicht zulässt. Und trotzdem begleitet mich diese Angst seit dem Tag der Diagnose. Was, wenn es ihr irgendwann nicht mehr so gut geht? Und was, wenn sie einfach vor mir stirbt? Was, wenn sich das tapfer sein am Ende doch nicht gelohnt hat…?

Das schlimme ist und ich glaube, das können die wenigsten nachvollziehen: Dieser Gedanke wird immer da sein. Er ist nicht wie ein Schalter, den man einfach umlegen kann. Er ist da und wird für immer bleiben. Er kommt manchmal wochenlang gar nicht und dann wieder ganz plötzlich und unerwartet. Manchmal fühlt es sich so an, als sei es ein lebenslanger Kampf gegen den eigenen Kopf. Es kostet wahnsinnig viel Kraft. Und während es für die allermeisten schon längst vergessen ist, wie krank Hannah ist, während alle das wilde, unbeschwerte, mitnichten energielose Kind sehen, läuft in meinem Innersten der “Was wäre wenn?” Film ab. Wenn dann doch mal jemand erwähnt, dass man dem Kind den schweren Herzfehler gar nicht anmerken würde, bin ich mittlerweile routiniert und antworte gewohnt optimistisch und lächelnd, dass ich mir gar keine Gedanken über die Zukunft mache. Wer weiß, wie weit die Medizin in 5, 10 oder 15 Jahren sein wird? Und in mir erstarrt in dem Moment alles. Denn während meine rationale Hirnhälfte wieder auf Überlebensmodus schaltet, Informationen aufnimmt, versteht und wiedergibt, wird die emotionale Hirnhälfte im gleichen Moment unter einen grauen Schleier gelegt, wo sie unkontrolliert und für niemanden sichtbar ihr irrationales Unwesen treiben kann.

Ich vermisse meine Leichtigkeit. Diese Unbeschwertheit, mit der ich vor 4 Jahren noch durch’s Leben ging. Heute Morgen wurde mir das besonders klar vor Augen geführt. Diese 2 Fotos, aufgenommen am gleichen Tag mit 4 Jahren Unterschied, strahlen so viel Glück aus. Und trotzdem liegen zwischen diesen Bildern 4 Jahre voller Sorgen und Ängste. Jahre, in denen ich gelernt habe, den Moment zu leben und manchmal nur an mich zu denken, damit ich nicht untergehe. Ich bin in diesen 4 Jahren anders geworden. Anstrengend mögen einige behaupten, kalt haben andere oft gesagt. Ich kämpfe für das, was ich liebe und was mich glücklich macht. Jeden einzelnen Tag. Und gleichzeitig ist da immer diese latente Angst, genau das wieder zu verlieren. Aber das ist der Preis, den ich mich vor 4 Jahren entschieden habe zu zahlen. Und ich bereue keine Sekunde davon!

 

6 Kommentare on Hannah’s Herzfehler::: 2 glückliche Fotos und die immer präsente Angst

  1. Mama
    22/08/2017 at 11:03 (7 Jahren ago)

    Mein liebes Kind, ich bereue auch keine Sekunde davon. Es ist eine Freude zu sehen,wie sich unser kleines Teufelchen entwickelt und uns in alle Richtungen schickt und ihre Fäden zieht. Glaub mir, auch ich denke ziemlich oft an die damalige Zeit bis heute…und auch mein Leben hat sich seitdem und durch Hannah verändert und ist nicht mehr so wie es mal war, weil auch in meinem Kopf Gedanken sind, die ich nicht denken will…deine Mama
    Ich drück dich.

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    • Michèle
      14/09/2017 at 20:26 (7 Jahren ago)

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  2. Elli
    23/08/2017 at 20:58 (7 Jahren ago)

    Ich lese deine Blogbeiträge gerne und kann deine Gedanken nur zu gut nachvollziehen. Auch meine kleine Tochter leidet leider an der Trikuspidalatresie und hat bis heute ihre zweite Op hintersich. Irgendwie komisch aber durch das lesen deiner Beiträge bekommt man immer das Gefühl, dass das eigene Leid auch andere erleben. Dabei ist es schlimm genug, dass es überhaupt sowas gibt. Ich wüsste auch nicht wie man an eurer Stelle entscheiden sollte. Aber eure Herzen und Gott werden euch leiten. Bei uns gibt es keine andere Möglichkeit als die Fontankomplementierung. Unsere Kinder sind solche Engel, egal wie, es wird alles gut werden da bin ich ganz sicher.

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    • Monika
      05/04/2018 at 10:10 (6 Jahren ago)

      Hallo, unser Sohn Nikolaus (fast zwei Jahre alt( hat auch die Trikuspidaltresie. Ich wurde mich uber einen Austauch sehr freuen.

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  3. Melanie Klump
    24/08/2017 at 06:36 (7 Jahren ago)

    Liebe Jessica,
    Ich bin durch Zufall auf deinen Blog gestoßen. Wegen der Regenbogentorte. Denn meine (Jo)Hanna wird jetzt 3. Das Rezept war so schön geschrieben und der Blog so liebevoll gestaltet, dass ich mich mal umsehen wollte. Dann bin ich auf die Geschichte mit dem Herzfehler deiner Hannah gestoßen. Im ersten Moment war ich geschockt und im zweiten Moment könnte ich förmlich euren Schmerz dieser Zeit fühlen. Ich habe nicht ansatzweise so etwas durchlebt aber ich habe 3 Kinder, Henriette 5.5, Johanna 3 und Constantin 2 und ich möchte mir gar nicht vorstellen wie es wäre wenn sie ernsthaft krank wären. Ich bewundere eure Stärke und habe größten Respekt davor.

    Als ich den Kommentar deiner Mutter las musste ich etwas schmunzeln, denn auch ich habe eine Mama ohne die ich hier schon manchmal den täglichen Wahnsinn kaum geschafft bekäme. Was wäre die Welt ohne unsere Mütter und (Omas). Sie sind eine so große Stütze.

    Eure Geschichte hat mich so berührt, dass ich dir einfach schreiben musste.

    Liebe Grüße

    Melanie aus NRW

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    • Jessika
      24/08/2017 at 09:36 (7 Jahren ago)

      Danke dir für deine lieben Worte! Ja, was wären wir ohne unsere Mütter und Omas… 😉

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