Vereinbarkeit ist Teamwork

Es war an einem Donnerstag im Januar, etwa 9:30 Uhr. Ich war gerade im Büro angekommen, hatte meinen Tag grob durchstrukturiert, als mein Handy klingelte und auf dem Display die 4 Buchstaben erschienen, die Eltern gemeinhin erstmal zusammenzucken lassen: KITA.

Hannah hatte hohes Fieber und fühlte sich nicht gut, ich solle sie abholen kommen. Ich schaute, noch während ich mit der Kita sprach, in meinen Terminkalender für diesen Tag. Bingo! Ich hatte um 13:30 Uhr ein wichtiges Meeting, das ich leiten und auch noch in letzten Zügen vorbereiten musste. Natürlich, das eigene, kranke Kind geht immer vor. Aber die Verantwortung im Job, in meiner Position, lässt sich auch mit einem kranken Kind nicht einfach wegargumentieren. Also musste eine Lösung her, mit der ich beidem gerecht wurde. Das war in diesem Moment meine eigene Version der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, oder ganz einfach von Verantwortung und Verantwortung, die in meinem Leben gleichermaßen eine Daseinsberechtigung haben.

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9:40 Uhr – Büro – Prenzlauer Berg

Ich rief meinen Mann an und informierte ihn, dass Hannah abgeholt werden müsste. Normalerweise, wenn eines unserer Kinder krank ist, wägen wir ab, wer von uns zu Hause bleiben und das kranke Kind betreuen kann. In aller Regel ist das aufgrund unserer verschiedenen Jobs jedoch er. In diesem Fall blieb uns aber nicht viel Zeit für Diskussionen oder Abwägungen, denn Hannah ging es offensichtlich nicht gut. Er arbeitet im Süden von Berlin, ohne Auto. Das heißt, er brauchte mindestens eine Stunde bis nach Hause bzw. zur Kita. Ich arbeite in der Mitte von Berlin, mit Auto. Zu der Tageszeit brauche ich etwa 45 Minuten nach Hause, bin aber durch das Auto flexibler. Nur hatte ich dieses wichtige Meeting am Mittag… Dennoch hatten wir einen Plan, der in der Theorie gut klang und in der Praxis nur noch aufgehen musste. Ich würde nach Hause fahren, Hannah abholen, mit ihr zum Arzt fahren, sie anschließend nach Hause bringen, wo mein Mann warten sollte und dann wieder ins Büro starten. Und das alles bis 13:30 Uhr.

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10:15 Uhr – Auto

Das Meeting war vorbereitet, die Agenda verschickt, mein Chef informiert, dass ich auf dem Weg nach Hause bin, aber pünktlich zum Meeting zurück sein werde.
Mein Mann hatte noch etwas mehr Zeit, um seine Aufgaben in Ruhe zu beenden.
Aus dem Auto rief ich beim Kinderarzt an, um uns anzumelden. Lange Wartezeiten waren nämlich in meiner Lösung nicht eingeplant. Die Sprechstundenhilfe machte mir keine Hoffnung und lehnte ab. Wir sollen erst morgen kommen. Also wählte ich die Nummer unseres Kardiologen, der ebenfalls eine Kinderarztpraxis hat. Ähnliche Antwort: Vorbeikommen und warten. Verdammt!

11 Uhr – Kita

Hannah sah wirklich nicht gut aus. Ich packte alle Sachen zusammen, meldete sie vorsorglich für den Rest der Woche ab und fuhr direkt zum Arzt weiter.

11:20 Uhr – Kinderarzt

Das Wartezimmer war brechend voll. Auf meinem Schoß das kranke, fiebernde Kleinkind, in meiner Hand das Handy, mit dem ich weiterhin für meine Teamleiter und deren Teams erreichbar war. Mein Blick ging immer wieder nervös auf die Uhr. Bis 12 Uhr mussten wir spätestens dran sein, damit ich noch irgendeine Chance hatte, rechtzeitig zurück im Büro zu sein.

12:15 – Auto

Geschafft. Hannah war mit Medizin versorgt, müde und vom Fieber platt. Wir machen uns auf den Weg nach Hause, wo hoffentlich schon der Papa wartete.

12:30 Uhr – Zuhause

Mein Mann kam fast zeitgleich mit uns an. Ich zog Hannah um, kuschelte noch kurz mit ihr und legte sie dann ins Bett, wo sie sofort einschlief. Als ich zurück ins Wohnzimmer kam, hatte mein Mann mir auf die Schnelle etwas zu Essen gemacht. Das war im Zeitplan nicht eingerechnet, aber es kam genau richtig und war so wichtig, um an diesem Wahnsinnstag irgendwie auf den Beinen zu bleiben.

12:50 Uhr – Auto

Ich saß wieder im Auto und war auf dem Weg zurück ins Büro. Die Straßen waren zu dem Zeitpunkt zum Glück leerer als noch am Morgen und ich war guter Dinge, dass ich es pünktlich zum Meeting schaffen werde.
Meinen Chef rief ich von unterwegs an und bat ihn, die Agenda auszudrucken und mit ins Meeting zu nehmen, da ich auf direktem Weg dorthin kommen würde.

13:30 Uhr – Büro

Punktlandung. Ich hatte es geschafft. Das Meeting konnte beginnen, während Hannah zu Hause schlief und von ihrem Papa umsorgt wurde.

Vereinbarkeit ist Teamwork

Solche Tage gibt es in meinem Alltag häufiger. Ich bin Mutter. Ich bin aber auch Vorgesetzte. Und keine der beiden Verantwortungen rechtfertigt es für mich, die jeweils andere zu vernachlässigen. Das ist manchmal Stress, so wie an jenen Tagen, wenn die Kinder krank werden und feste Tagesabläufe durch unvorhergesehene Ereignisse über Bord geworfen werden. Aber das ist gleichzeitig auch Leben und das verläuft in den allerseltensten Fällen nach Plan. Solche Tage sind für Eltern unheimlich kräftezehrend. Für Väter gleichermaßen wie für Mütter. Trotzdem machen sie mich am Ende auch zufrieden. An diesem Abend damals im Januar war ich wirklich platt, aber glücklich. Natürlich wäre es viel einfacher und in mancher Leute Augen wohl auch richtiger gewesen, wenn ich nach Hause gefahren wäre, um mich um mein krankes Kind zu kümmern. Für viele Mütter und Väter gibt es aber dieses Entweder-Oder-Denken nicht. Für mich stellte sich damals gar nicht die Frage, ob ich mein wichtiges Meeting absage, Hannah abhole und dann mit ihr zu Hause bleibe. Ein krankes Kind braucht Ruhe und Schlaf und erst dann jemanden, der sich liebevoll kümmert. Das kann die Mama, der Papa, die Oma oder der Opa sein. Im Grunde ist es völlig egal, solange das Grundbedürfnis nach Ruhe und Erholung erfüllt ist. Ich habe damals nach der besten Lösung gesucht, die allem gerecht wurde: Das kranke Kind versorgen und meiner Verantwortung als Führungskraft nachkommen. Vereinbarkeit ist immer eine Herausforderung, ein Konflikt zweier Verantwortungen, ein Abwägen von Möglichkeiten und ein in Kauf nehmen von Abstrichen. Vereinbarkeit ist vielleicht auch der Mut, nicht in Entweder-Oder-Schubladen zu denken.

Am Ende ist Vereinbarkeit Teamwork. Wenn zwei Dinge, die sich eigentlich ausschließen, dennoch in Einklang gebracht werden können, ja manchmal auch müssen, dann funktioniert das nur, wenn alle mitziehen: Der Arbeitgeber, die Kollegen, der Partner, die Familie.

2 Kommentare on Vereinbarkeit ist Teamwork

  1. Simone
    18/11/2016 at 17:37 (7 Jahren ago)

    …und trotzdem fühlt man sich mit egal welcher Lösung schlecht. Denn am liebsten will man in solchen Situationen für Kind UND Job da sein können!. Aber das ist das einzige was wir Mütter NICHT können – uns zwei teilen… 🙁
    Ich kanns so gut verstehen…

    Antworten
  2. Liebe
    30/09/2017 at 11:11 (7 Jahren ago)

    Mir geht es genau so.
    Ich muss von Zeit zu Zeit zu Kunden in Europa fliegen zum glück nicht so oft sonst wäre ich verloren. Zum glück habe ich einen guten Mann und gute Eltern die mich in jeder Hinsicht unterstützen.

    Antworten

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