Auf das Leben!

Liebste Hannah,

Du tapferes, begnadetes Mädchen! Unser Sonnenschein, Wildfang, furchtloses Kind. Wie schnell die Zeit doch vergangen ist. Heute ist der Tag, an dem unsere Welt vor einem Jahr still stand. Der Tag, an dem wir vor Angst und Sorge um dich und dein Leben, nicht zu atmen wagten. Achteinhalb nicht enden wollende Stunden mussten vergehen, bevor wir an deinem Bett stehen und dich endlich wieder zaghaft streicheln durften. Dein Herz stand für eine Stunde still. Es ist unmöglich in Worte zu fassen, wie sich all das für uns anfühlte. Aber der Sturm, der damals in uns tobte, ist vorbei. Du hast uns allen vom ersten Moment an gezeigt, welch ungebrochener Wille in dir steckt. Den Beatmungsschlauch hast du dir noch am gleichen Abend selbst gezogen. Am nächsten Morgen folgte deine Magensonde. Selbst trinken fandest du nach dieser für dich im Spazierengehen erledigten schweren Herz-OP einfach besser. Du wusstest schon immer, was du willst. Nach diesem Tag vor einem Jahr umso mehr. Nach 5 Tagen wolltest du damals nach Hause. Nach einer weiteren Woche, drehtest du dich wieder allein auf den Bauch. Gegen deinen nächtlichen Überwachungsmonitor kämpftest du so lange zappelnd an, bis ich aufgab und dich ohne schlafen ließ. Du fingst an zu krabbeln, kamst einen Tag nach deinem 1. Geburtstag in den Kindergarten und lerntest von dort an in Lichtgeschwindigkeit. Als ich kurze Zeit später abends nach Hause kam, bist du mir mit stolzem Blick entgegengelaufen. Direkt in meine Arme.

Hannah Herz OP

Ich weiß nicht, ob du jemals wieder in so kurzer Zeit so unsagbar viel lernen wirst, wie in den vergangenen 12 Monaten! Du saugst deine Umwelt förmlich aus, um alles zu lernen, du redest ohne Punkt und Komma, was du nicht sagen kannst, teilst du uns unmissverständlich durch deine unverwechselbare Mimik und Gestik mit. In allem, was du tust, schwingt dein starker Wille mit und manchmal, mein Engel, ist es wirklich schwer dich davon zu überzeugen, dass wir dir bei einigen Dingen noch helfen müssen. Aber du bist unbelehrbar, stur wie ich. Wenn du vor dem Schlafen nicht auf Toilette möchtest, dann muss ich das wohl einsehen. Wenn du stattdessen mitten in der Nacht wach wirst und erst Ruhe gibst, wenn ich dich auf den Topf setze, dann muss ich da wohl auch durch. Als du dich heute Morgen allein angezogen hast, habe ich dir fasziniert zugesehen und mich daran erinnert, wie unsere Welt vor einem Jahr noch aussah.

Du bist ein Sonnenschein, hörst auf’s Wort (das ist mir immer noch mehr als suspekt!), lässt dich abends ins Bett legen und schläfst einfach ein. Du bist so herrlich unkompliziert. Aber du bist auch stur, hast deinen starken Willen, im Guten wie im Schlechten. Bevor du aufgibst, wird alles erdenklich Mögliche probiert. Erst wenn dein Essen rings um deinen Hochstuhl auf dem Boden verteilt liegt, bittest du uns um Hilfe.

Du hast schon heute Talente, die mich staunen lassen. Du malst und singst mit einer Ausdauer und Leidenschaft, die mich beeindrucken. Aber du bist eben auch dieses Kind, das voller Neugierde und Temperament testet, ob die Stifte auch auf den Bodenfliesen oder der weißen Küchenfront malen.

Dich kann man keine Sekunde aus den Augen lassen, denn wenn du unbeobachtet bist, bist du wild, neugierig und so furchtlos, dass mir schon so manches Mal das Blut in den Adern gefror. Ein zu langer Moment der Stille ist mein Kommando, dich vom Hochbett deiner Schwester zu fischen, auf das du offenbar mit links heraufkletterst. Du liebst das Risiko. Je gefährlicher die Situation, desto lauter und juchzender ist dein Lachen. Rutschen werden von dir entgegen der Herstellerangaben in entgegengesetzter Richtung benutzt. Wenn du es geschafft hast, von unten nach oben zu klettern, lässt du dich auf dem Bauch, mit dem Kopf voran, wieder nach unten gleiten. Himmel! Wer hat dir das gezeigt? Ich erinnere mich, dass ich deinen Kardiologen einmal fragte, wieviel man dir körperlich zumuten darf. Und er antwortete mit einem Lächeln, dass die Herz-Kinder selbst am besten wissen, wo ihre Grenzen sind. Wenn das wirklich so ist, dann hast du deine Grenzen noch lange nicht erreicht! Eine weitere Lektion für deine ungeduldige, besorgte Mutter.

Liebste Hannah, du bist Engel und Teufel in einem. Sensibel und wild, furchtlos und doch verkuschelt, ausdauernd und gleichzeitig kann dir nichts schnell genug gehen. Du hast einen ungebrochenen Willen und bist trotzdem so verständnisvoll mit uns, deiner Familie!

Herz und Liebe

Deine Schwester, die du anhimmelst und die dich abgöttisch liebt, ist schon heute dein Vorbild. Dein Papa ist dein bester Freund. Ihr zwei seid Verbündete und macht Dinge, von denen ich manchmal besser nichts wissen möchte. Und ich? Ich bin die, die abends oder nachts in deinem Zimmer auf der Couch sitzt und mit dir kuschelt. Deinen Kopf streichelt und dabei weint. Vor Glück und Dankbarkeit, überwältigt von unserer Vergangenheit und deiner Stärke. Wir hatten so viel Glück bisher!

Happy Birthday, Hannah!  Wir lieben dich unendlich doll!

3 Kommentare on Auf das Leben!

  1. Sandra
    02/11/2015 at 07:55 (8 Jahren ago)

    …. sprachlos und mit Tränen in den Augen habe ich diese wunderbare Hommage gelesen…

    Liebe Jessika, auch wenn der eine oder andere Blogartikel den Eindruck hinterliess, dass das Glück nicht immer auf eurer Seite ist/war, möchte ich dem vehement widersprechen! Eine so tolle Familie… mit zwei so hübschen und allerliebsten Girls… auch wenn sie hie und da die Nerven etwas strapazieren, sind sie nicht gerade deshalb so allerliebst und ganz wichtig: “leben” sie nicht gerade deshalb mit all ihren Fasern und Geist…?

    Seit mehr als einem Jahr verfolge ich diesen Blog still und leise… sauge jeden Artikel in mir auf, bin mit euch traurig, wenn es mal nicht so gut läuft, freue mich aber umso mehr, wenn es wieder bergauf geht und das Lachen an der Tagesordnung steht! Bleibt wie ihr seid……!!

    Herzliche Grüsse
    Sandra

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  2. Jenny
    03/11/2015 at 04:50 (8 Jahren ago)

    Das hast du so so wunderschön geschrieben. Ich sehe die tasten kaum, da ich wie ein Schlosshund heulen muss.
    Ich freue mich unendlich doll für euch, dass alles so geworden ist, wie es ist!

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  3. Eva
    04/04/2017 at 10:52 (7 Jahren ago)

    Manchmal ist es so schwer, Mama zu sein! Meine Hochachtung,wie ihr das durchgestanden habt. Ich hatte auch eine schwierige Operation meiner Tochter zu überstehen. Sie musste am Schädel operiert werden. Hier habe ich darüber geschrieben: https://evameintsgut.de/kraniosynostose-mein-baby-hat-was/
    Und ich finde es immer toll, solche Erfahrungsberichte zu lesen. Da fühlt man sich nicht so allein mit seinem Schicksal!

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