Es ist geschafft! – Teil 2

Donnerstag, 30.10.2014

Ich hatte meinen Wecker für 5:20 Uhr gestellt. Ich musste einmal quer durch Berlin und wollte nicht den Super-GAU riskieren, dass ich zu spät im Krankenhaus ankäme und mein Kind schon im OP sei. Kurz nach 5 wurde ich wach. Nervös, unruhig, unendlich schwer und weinend. Ich konnte kaum etwas erkennen, weil das Bild vor meinen Augen immer wieder in Tränen verschwamm. Der schmerzhafte Abend vorher, die Sorge wegen der OP und dieses lähmende Gefühl, nichts dagegen tun zu können, vermischten sich und nahmen mir fast die Luft zum Atmen.
5:30 Uhr kam meine Mama, um auf Emma aufzupassen, die immer noch friedlich schlief. Kurz darauf fuhr ich los. Mit zitternden Händen und verheulten Augen durch’s dunkle Berlin.

6:30 Uhr war ich endlich auf der Intensivstation. Mein Mann und Hannah schliefen noch. Es war alles wie ein schlechtes Déjà-vû. An diesem Morgen war ich nicht ruhig. Ich saß mit einer inneren Unruhe neben ihrem Bett, starrte abwechselnd aus dem Fenster und aufs Handy und die Zeit stand still.
Um 7 wurde sie wieder wach. Wieder gut gelaunt. Sie ist so tapfer und geduldig… Ab dort ging alles sehr schnell. Es kam der Abruf für den OP. Sie wurde vorbereitet, ich durfte sie nochmal auf dem Arm halten und ein letztes Mal kuscheln.

Immerhin war sie gut gelaunt!
Ein letztes Mal Kuscheln…

Ich weinte stumm, denn die Worte unseres Kardiologen waren plötzlich ganz klar in meinem Kopf: “Lächeln Sie vor Ihrem Kind, damit es weiß, dass mit Ihnen alles in Ordnung ist. Das ist das wichtigste…” Dann musste sie ins Bett und wurde darin liegend zum Fahrstuhl geschoben. Wir verabschiedeten uns tapfer um 7:30 Uhr. Lächelnd. Für sie. Anschließend saßen wir allein in dem Zimmer auf der Intensivstation, in dem wir bereits seit knapp 40h “eingesperrt” waren. Erst da brach alles aus mir heraus. Es hatte etwas Befreiendes. So absurd das auch war. Für einen Moment waren wir auch erleichtert, dass es nun endlich losging.

Wir fuhren im Anschluss direkt nach Hause. Um 8:30 Uhr kamen wir dort an und empfingen Emma, die wahre Luftsprünge machte uns zu sehen. Ich habe mir in den letzten Wochen immer versucht vorzustellen, wie ich die Stunden der OP rumkriegen würde. Am Ende tat ich gar nichts. Ich wollte und konnte nichts tun. Die ersten Stunden vergingen noch halbwegs gut. Ich dachte viel an den für mich schlimmen Vorabend der OP. Ich wollte und konnte mir nicht vorstellen, wie es ihr gerade ging. Am Vormittag packte ich zwei Pakete und schickte meinen Mann zur Post. Immer wieder erreichten mich Fragen, ob ich schon was wüsste. Von Stunde zu Stunde wurde ich unruhiger. Man sagte uns, dass sie gegen 13 Uhr eventuell schon raus sein könnte. 13 Uhr verging. Halb 2 fuhren wir los in Richtung Krankenhaus, weil ich es zu Hause nicht mehr ausgehalten habe. 14:30 Uhr hatten wir immer noch nichts von ihr gehört. Da waren mittlerweile 7,5 Stunden vergangen. Ich war kein Mensch mehr, war völlig aufgelöst und setzte nur noch blind einen Schritt vor den anderen.
Um 16 Uhr standen wir endlich an ihrem Bett und schauten auf dieses verkabelte und unter Schläuchen liegende kleine Menschlein, das ein großes Pflaster auf dem Brustkorb hatte. Die ganze Anspannung der letzten Stunden fiel von uns ab. Es war geschafft. Hannah hatte es geschafft!

Wir hatten sie wieder!

Die Ärzte waren sehr zufrieden. Die OP verlief gut. Eine Stunde lang war ihr Herz angehalten. Insgesamt 2 Stunden war sie an der Herz-Lungen-Maschine. Die obere Hohlvene, die das Blut der oberen Körperhälfte in die rechte Herzhälfte transportiert, wurde direkt an die Lungenarterie gesetzt und das Blut somit umgeleitet. Das Loch zwischen ihren Vorhöfen wurde verkleinert, aber nicht verschlossen. Darüber kann wie bei einem „Abflussventil“ zu viel Blut abfließen. Sozusagen ein Herzfehler, der nun positiv genutzt werden kann. Der Stent, der bisher den Blutfluss im Herzen sicherstellte, wurde entfernt und der Ductus geschlossen. Ihre verschlossene Pulmonalklappe (der Ursprung des ganzen Übels) wurde chirurgisch geöffnet und aus den bestehenden 3 Lappen eine Art Klappe rekonstruiert, die eine gewollte Undichtigkeit hat. Somit „schwappt“ immer Blut zurück in die rechte Kammer, die – so unsere Hoffnung – dadurch noch ein wenig wachsen wird.

Wir sind in den letzten Tagen oft gefragt worden, ob Hannah jetzt gesund ist und nicht mehr operiert werden muss. Nein. Durch die OP funktioniert der Blutkreislauf, wenn auch über eine Umleitung, nun richtig. Dadurch ist sie bereits jetzt schon viel leistungsfähiger, trinkt größere Mengen als vorher und ihre Sauerstoffsättigung liegt nicht mehr bei um die 80%, sondern schwankt zwischen 88% und 95%. Trotzdem ist die OP nur eine Schritt-für-Schritt-Lösung. Wir müssen in den kommenden Monaten (vielleicht sogar Jahren) schauen, wie sich ihr Herz entwickelt. Wie es mit dem neuen Blutfluss zurecht kommt und vor allem: Ob die rechte Kammer wieder etwas mitwächst. Wenn all das funktioniert, bekommt sie irgendwann „nur“ eine künstliche Herzklappe, die regelmäßig erneuert werden muss. Damit hätte sie allerdings ein halbwegs normales Leben vor sich. Läuft es nicht wie erhofft, muss sie in spätestens 2-3 Jahren die Fontan-OP bekommen und lebt dann nur mit der linken Herzhälfte. Egal, wie sich alles entwickelt: Weitere OPs sind notwendig. Im Idealfall haben wir allerdings jetzt erstmal ein wenig Ruhe.

Die vielen Schläuche und Kabel waren erschreckend…

Am Abend nach der OP wurde Hannah schon extubiert und hat wieder vollständig allein geatmet. Wir waren zu dem Zeitpunkt schon zu Hause. Es war komisch, sein Kind nun ganz allein im Krankenhaus zu lassen. Aber die Erschöpfung der letzten Tage legte sich wie ein Schleier über unser  Bewusstsein, sodass diese Tatsache im Nachhinein nur noch halb so schlimm erscheint. Schmerzhafter war vielmehr das Gefühl nachts wach zu werden und in ein leeres Babybett zu gucken.

Ein Anblick, der mich immer wieder schlucken lässt…

Freitag, 31.10.2014

Mein Mann ging wieder arbeiten. Ich brachte Emma in die Kita und fuhr anschließend direkt ins Herzzentrum. Hannah, so sagte man uns morgens schon am Telefon, hatte bereits allein aus der Flasche getrunken, nachdem sie sich ihre Magensonde allein gezogen hatte. Sie schlief den ganzen Tag, war zwischendurch mal kurz wach, fiel aber sofort wieder zurück in einen Dämmerzustand. Aber es ging ihr gut. Sie machte das alles hervorragend. Man stellte uns sogar in Aussicht, dass sie am Samstag bereits auf die normale Station verlegt werden könne.

Die Beatmungsschläuche und die Magensonde sind weg!

10 Stunden saß ich an ihrem Bett. Streichelte sie, sang und durfte sie am späten Nachmittag endlich wieder im Arm halten. Ein Moment, der sämtliche Gefühle in mir freisetzte. Ich realisierte ein Stück mehr, dass wir einen großen Meilenstein geschafft haben. Dass SIE es geschafft hatte. Mein tapferes, starkes Kind.

Endlich!

Der schönste Moment des Tages!

Kuscheln bei Papa…

Sie wurde ganz ruhig und hat einfach nur genossen.

Abends fuhr ich nach Hause, mein Mann blieb noch im Krankenhaus. Ich verschanzte mich in unserem dunklen Haus, in der Hoffnung, dass kein Halloween-Gespenst an der Tür klingeln und mich nach Süßigkeiten fragen würde, die ich aufgrund der letzten Tage nicht im Haus hatte. Es klingelte trotzdem. Allerdings stand kein Gespenst vor der Tür, sondern ein Blumenkurier, der uns einen tollen Strauß brachte, den liebe Freunde für uns geschickt haben. Danke Franzi und Karsten!

Ein Blumengruß von Freunden

Ich war einfach nur erledigt, hing völlig schlapp auf der Couch, war mit meinen Gedanken ganz weit weg. Wieder wünschte ich mir, dass man mir einfach unsichtbar und stumm auf die Schulter klopfte, mir Mut machte, Kraft gab oder mich einfach nur ablenkte. Ich wünschte mir nur für einen Augenblick andere Gedanken, Normalität oder zumindest das Gefühl, verstanden zu werden. Ich lief schon lange im Reserve-Modus. Meine Nerven hatte ich irgendwann zwischen Mittwochabend und Donnerstagnachmittag verloren. Ich hatte nichts, woraus ich Kraft tanken konnte. Ich habe mich noch nie so erschöpft gefühlt in meinem Leben. Und auch noch nie so allein in einem Kampf aus Sorgen, Ängsten und Hoffnung. Ich hatte immer geglaubt, dass nach der OP alles besser werden würde, ich mich besser fühlen würde. Aber irgendwie wollte das nicht klappen.

5 Kommentare on Es ist geschafft! – Teil 2

  1. Anonymous
    03/11/2014 at 07:05 (9 Jahren ago)

    Ihr könnt so unglaublich stolz auf Euch alle sein! Erholt Euch gut!<br />LG, Mimi

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  2. Sandra
    03/11/2014 at 07:06 (9 Jahren ago)

    Liebe Jessika<br /><br />Und wieder sitze ich stumm und nach Worte ringend da… <br /><br />Wenn es einen Glauben gibt, der Berge versetzen kann, so ist es der Glaube an die eigene Kraft (Marie von Ebner-Eschenbach)<br /><br />Ihr musstest bis und vor der OP soooo stark sein, dass es nicht verwunderlich ist, dass NACH der OP nicht einfach alles gut ist… Nehmt euch die Zeit und lasst auch

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  3. anke adamik
    03/11/2014 at 15:43 (9 Jahren ago)

    Ich bin so erleichtert zu lesen, dass die OP gut verlaufen ist und sich Eure Maus offensichtlich zügig berappelt. Ich hoffe, Ihr könnt das auch. Euch allen gute Erholung!<br /><br />Anke Adamik / Akademie für Matrisophie

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  4. Britta
    03/11/2014 at 19:45 (9 Jahren ago)

    Ich wünsche Hannah aller erdenklich Gute und eine schnelle Generung! Ihr seit eine tolle Familie!

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  5. Marlen Scheller
    03/11/2014 at 21:49 (9 Jahren ago)

    Liebe Jessy,<br />jetzt sitze ich vor meinem PC und weiß nicht wie ich die richtigen Worte wählen soll… Ich möchte Dir so viel sagen und schreiben und möchte mich doch nicht aufdrängen. <br />Als ich diese lezten zwei Bolgeinträge gelesen habe, liefen mir die Tränen über die Wangen. Ich konnte so sehr spüren wie es Euch ergangen sein muss. Dabei wurde mir bewusst wie angespannt ich selber in

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